Nach zwei Trainingslageraufenthalten im Jahr 2002 auf Teneriffa und Mallorca, plante ich einen frühen Ironman-Start in Brasilien auf der Insel Florianopolis. Da ich das Gefühl hatte, im Ironman beim abschließenden Marathon, nicht mein volles Laufpotenzial entfalten zu können, suchte ich mir zusätzlich zu meinem Triathlontrainer einen speziellen Lauftrainer. Mit dem SSC Hanau-Rodenbach trat ich in einen reinen Laufverein ein und wurde dort gleichzeitig vom vereinsansässigen Trainer, der auch hessischer Kadertrainer war, betreut. Ich gab ihm vor, keine Rücksicht auf die anderen beiden Disziplinen zu nehmen. Er sollte mich stattdessen wie einen reinen Marathonläufer betreuen und entsprechende Trainingspläne schreiben. Dies führte dazu, dass ich Laufumfänge von zum Teil 170 Kilometern pro Woche hatte. Natürlich war das im Kontext der zwei anderen Disziplinen und des zusätzlichen Krafttrainings zu viel.

Ich merkte zwar, dass ich die Qualität meiner langen Trainingsläufe steigern und meine Bestzeiten, beispielsweise im Halbmarathon auf 1:10 Stunden nach oben schrauben konnte, auf der anderen Seite waren die hohen Kilometerumfänge aber Gift für meinen Rücken. Vom Umfang betrachtet, war ich am Höhepunkt der Trainingsbelastung angekommen. Mehr hätte ich nicht mehr bewältigen können. Dreimal pro Woche suchte ich einen Physiotherapeuten auf, der meine müden Muskeln massierte. Ich achtete genaustens darauf, immer das Richtige zu essen, vor allem genug, und sorgte dafür, stets mindestens acht Stunden Schlaf zu bekommen. Zum Frühstück verzehrte ich regelmäßig sieben Brötchen und abends waren 500 Gramm Pasta schnell heruntergeschlungen.

Glücklicherweise hatte ich schon länger eingesehen, dass ich mit vegetarischer Ernährungsweise nicht unbedingt weit komme. Seit ich wieder darauf achtete, mindestens zweimal pro Woche fettarmes Rindfleisch zu essen, konnte ich meine Eisenwerte konstant halten und war weniger anfällig für Infekte. Ich hatte Trainingstage, an denen ich samstagmorgens drei Stunden lief, anschließend erst frühstückte, dann vier Kilometer schwamm und nach einer kurzen Mittagspause noch 90 Kilometer Rad fuhr. Am Tag danach gab es keinen Ruhetag, sondern der Sonntag wurde genutzt, um eine lange Radausfahrt von 160 bis 180 Kilometer Länge zu machen und abends noch ins 60 bis 90-minütige Krafttraining zu gehen.

Wie bereits erwähnt, litt mein Rücken, der immer noch mein Schwachpunkt war, enorm unter der hohen Laufbelastung. Der lange Flug zum Ironman nach Brasilien tat sein Übriges. Wie auf der Reise nach Hawaii, stieg ich mit Rückschmerzen aus dem Flieger und musste mit diesen Schmerzen in den Wettbewerb hineingehen. Vor dem Wettkampf fühlte ich mich aber stark und war mir absolut sicher, meine erste Top-Ten-Platzierung in einem Ironman erreichen zu können.

Zum Glück hatte ich bei solchen Überseereisen, bis auf die Rückenprobleme, keine Anpassungsschwierigkeiten. Weder das Klima und der, zum Teil krasse Unterschied zum deutschen Wetter, noch die Zeitverschiebungen behinderten mich in meiner Leistungsfähigkeit. Nach dem Schwimmen an der wunderschönen Praia da Lagoinha lag ich erstmals in Schlagdistanz zu den Profis und kam zeitgleich mit dem späteren Sechsten des Gesamtklassements, Olaf Sabatschuss, aus dem Wasser. Auf der Radstrecke lief es ebenfalls nach Plan und bis Kilometer 120, war ich sicher unter den ersten zehn Athleten positioniert. Auf einmal bekam ich jedoch ein Stechen im Lendenwirbelsäulenbereich, das sich schon bei meinen langen Läufen im Training dann und wann einmal bemerkbar gemacht hatte. Das Stechen wurde heftiger und strahlte in mein linkes Bein aus. Teilweise spürte ich das Bein und den Druck des Pedals sogar überhaupt nicht mehr und war fortan erheblich bewegungseingeschränkt. Die Aeroposition auf dem Rad konnte ich schon lange nicht mehr einhalten und musste das Rennen schließlich, mit Lähmungserscheinungen im Bein und ungekannten Rückenschmerzen, vorzeitig beenden.

Das war einer der schlimmsten Tiefpunkte meiner bisherigen Karriere. Ich hatte einen enormen finanziellen Aufwand für diese Reise in Kauf genommen. Mein persönlicher Return dieses Investments, sollte die Platzierung unter den Top-Ten sein, bei der ich auch ein entsprechendes, im Minimum kostendeckendes Preisgeld gewonnen hätte. Zum ersten Mal musste ich jedoch ein Rennen aufgeben und flog sehr demoralisiert nach Hause zurück. Nie zuvor hatte ich mich bis dahin vor einem Wettkampf auf der Langdistanz so gut trainiert und so stark gefühlt. Diese Form hatte ich in Brasilien nutzen wollen.

Zuhause empfahlen mir die Ärzte, nach entsprechenden Untersuchungen, mich einer Bandscheibenoperation zu unterziehen. Das lehnte ich aber strikt ab, da ich grundsätzlich vor Operationen Angst habe, ungewollte Begleiterscheinungen fürchtete und vor allem damals die lange Rekonvaleszenz nicht in Kauf nehmen wollte. Ich suchte stattdessen nach alternativen Behandlungsmöglichkeiten.

Als erstes analysierte ich meine Zeitfahrposition auf dem Fahrrad und stellte fest, dass diese für meine Konstitution zu aggressiv war. Ich legte die Armschalen des Zeitfahrlenkers etwas höher und tauschte den Rahmen aus. Von einem konventionellen Zeitfahrrahmen mit Sitzrohr wechselte ich zu einem Softride-Rahmen. Heute sind diese Räder, wegen ihres hohen Gewichts, aus der Mode gekommen. Mir half diese Innovation damals jedoch, meinen Rücken zu entlasten. Die Softride Konstruktion verzichtete auf ein festes Sitzrohr, verbesserte damit die Aerodynamik und sorgte, über eine gemäßigte Federung einer Carbonschwinge, für geringere Stoßbelastung der Lendenwirbelsäule.

Von einer Physiotherapeutin ließ ich meinen lädierten Rücken zusätzlich nach der sogenannten Dorn-Therapie behandeln. Ich forcierte das Krafttraining für den Rücken und führte tägliche Übungen zum Aufbau meiner Rumpfmuskulatur aus.

Darüber hinaus machte ich selbst Videoaufnahmen von meinem Laufstil und entdeckte, dass ich sehr stark über die Ferse abrollte, was zu enormen Erschütterungen meiner Lendenwirbelsäule führte. Diese Selbstanalyse war für mich die wichtigste Maßnahme von allen. Ich versuchte, meinen Laufstil zu ändern, indem ich mehr über den Vor- und Mittelfuß abrollte. So hatte ich den Erstkontakt zum Boden nicht mehr mit der Ferse, wie es eigentlich Usus im Langstreckenbereich ist, sondern über den Mittelfuß. Sofort bemerkte ich, dass nun meine Fuß- und Wadenmuskulatur als erster Stoßdämpfer fungierte und meine Lendenwirbelsäule und Rückenmuskulatur diese Rolle nicht mehr alleine übernehmen musste. Die Summe aller dieser Maßnahmen brachte eine sofortige Entlastung und ich konnte sogar rasch wieder schmerzfrei trainieren. Das Kapitel Bandscheibenoperation legte ich damit endgültig beiseite.

Schon drei Wochen nach meinem Brasilienaufenthalt und dem abgebrochenen Finish, fand ein weiterer Wettkampf über die Ironman-Distanz in Dresden statt. Ich wollte meine gute Form nutzen und meldete mich an. Zwar war ich nicht sicher, ob ich die neue Lauftechnik schon über einen kompletten Marathon durchhalten würde, aber ich wollte es versuchen und trat hoch motiviert in Dresden an.

In Dresden kam ich mit neuer Schwimmbestzeit aus dem Wasser und hielt mich beim Radfahren bewusst zurück, um meine Laufstärke im Marathon voll entfalten zu können. Ich ging mit einem Rückstand von 20 Minuten auf den Führenden als Vierter vom Rad. Als dieser führende Athlet mich aber auf der Radstrecke überholt hatte, erkannte ich sofort, dass er kein wirklicher Läufertyp war und ging zuversichtlich auf die Laufstrecke. Auf den ersten zehn Kilometern hörte ich in mich hinein und stellte fest, dass mein neuer Laufstil durchzuhalten war und meinen Rücken, wie erhofft, entlastete. Minute um Minute konnte ich aufholen und war bei Kilometer 30 schließlich vorne. Ich war mir sehr sicher, dass ich das Tempo durchhalten und den Wettkampf gewinnen konnte – und so geschah es auch. Nur zwei Wochen nach dem Brasiliendebakel und nur eineinhalb Wochen nach der ärztlichen Empfehlung zur Bandscheibenoperation, konnte ich meinen ersten Ironman-Wettkampf gewinnen.

Obwohl ich anschließend psychisch und physisch ziemlich ausgepowert war, beschloss ich wenige Wochen später, beim neu entstandenen Ironman in Frankfurt an den Start zu gehen. Die Regenerationszeit war mit fünf Wochen zwar deutlich zu kurz, aber der Reiz des Wettkampfes, der zum Teil über meine Trainingsstrecken in der Wetterau führte, war einfach zu groß. Demzufolge erlag ich dem Reiz und ging an den Start. Durch den Erfolg in Dresden hatte ich genügend Selbstvertrauen getankt, war zwar nicht vollständig erholt, aber durch die vielen bekannten Gesichter an der Frankfurter Strecke hoch motiviert. In allen Disziplinen gelang mir ein konstantes Rennen, sodass ich mit Platz sieben in der Gesamtwertung ein erfolgreiches Finish hinlegen und zusätzlich ein, in Brasilien noch verpasstes, Preisgeld gewinnen konnte.

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