Sportlich hatte ich mir für das Jahr 2007 drei klare Höhepunkte gesetzt. Im April wollte ich Deutscher Meister (AK) im Duathlon werden. Ende Mai sollte es bei den ITU World Championships im ungarischen Györ mindestens eine Medaille werden. Gegen Ende der Saison stand dann mein letzter Ironman beim Langdistanztriathlon in Köln Anfang September auf dem Plan.

Ich konnte zwar nicht mehr so umfangreiche Trainingsstunden absolvieren wie früher, profitierte aber immer noch von der Trainingsbasis der früheren Jahre und konnte durch die Trainingsintensität, also das hohe Trainingstempo und die zahlreichen Tempoeinheiten, meine Leistungsfähigkeit nicht nur erhalten, sondern im Laufen sogar noch einmal einen Schritt nach vorne tun. Mein Training plante ich täglich nach der verbleibenden Zeit und den Gegebenheiten des Wetters selbst. Die vielen Jahre des Leistungssports halfen mir dabei. Ich wusste genau, wann ich was zu trainieren hatte, kannte meinen Körper und vermochte einzuschätzen, dass ich nach einem anstrengenden Arbeitstag mit extremer psychischer Belastung kein Tempotraining mehr verkraften konnte. An solchen Tagen trainierte ich dann nur im lockeren Grundlagenbereich. Ich sah aber auch komplett neue Reize in meinem Training, in dem ich zum Beispiel zwei intensive Trainingseinheiten an zwei aufeinander folgenden Tagen, einen so genannten Doppelschlag, absolvierte. Das war für mich eine neue Trainingsform, die mich nach entsprechender Regeneration stark nach vorne brachte.

Bei den Vorbereitungswettkämpfen auf die Weltmeisterschaft konnte ich überzeugen und war selbst von der eigenen Leistungsfähigkeit überrascht. Ich konzentrierte mich voll auf den WM-Start und reduzierte das Training vor den Vorbereitungswettkämpfen nicht. So kam es vor, dass ich am Tag vor einem Duathlonwettkampf noch drei Trainingseinheiten absolviert hatte, wenn es sich dabei um einen Samstag handelte, den ich ganz für das Training zur Verfügung hatte. Trotzdem konnte ich gewinnen und ein qualitativ hochwertiges Starterfeld besiegen. Egal ob ich in diesen Wochen bei einem Laufwettkampf, Duathlon oder Triathlon an den Start ging, gelangen mir Siege, hervorragende Zeiten oder Platzierungen die besser waren als alles, was ich vorher bei den gleichen Wettkämpfen erreicht hatte.

Fünf Tage vor der Weltmeisterschaft lag noch ein berufliches Projekt und damit zwei durchgearbeitete Tage hinter mir. Alles war aber gut verlaufen. Es war zwar anstrengend gewesen und ich hatte 48 Stunden so gut wie nicht geschlafen, aber ich freute mich trotzdem auf die WM, weil meine Leistungskurve weiter nach oben gezeigt und ich trotz des Arbeitsstresses meine Trainingseinheiten durch gezogen hatte, meine Zeit- und Tempoziele erreichte und mich einfach topfit fühlte. Auf dem Flug nach Budapest war ich jedoch noch so erschöpft, dass ich die ganze Zeit nur schlief. Als wir ankamen, musste ich ebenfalls erst einmal zwei bis drei Stunden schlafen, um das Schlafdefizit auszugleichen. Der einzige Vorteil an diesem Arbeitsstress war, dass ich dadurch zwei bis drei Kilogramm an Körpergewicht verlor. Dies kam mir nur vier Tage vor der Weltmeisterschaft sehr zugute. Um mich selbst als schnell zu empfinden und um mich topfit zu fühlen, musste mein Körpergewicht bei einem Wettkampfhöhepunkt immer stimmen. Bei Duathlonwettkämpfen oder olympischen Triathlondistanzen achtete ich immer darauf, zwischen 69 und 70 Kilogramm zu wiegen, während bei Ironman- und Langdistanzwettkämpfen mein optimales Gewicht zwischen 71 und 71,5 Kilogramm lag. Früher fiel es mir teilweise sehr schwer, dieses Gewicht am Wettkampftag auch wirklich auf die Waage zu bringen. Nun erledigte sich dies sozusagen von selbst. Diesmal schaffte ich es allerdings nicht ganz in den optimalen Gewichtsbereich und wog am Wettkampftag immer noch ein Kilogramm zu wenig. Dies beunruhigte mich aber nicht und sollte mich in meiner Leistung auch  keineswegs so beeinträchtigen wie es ein zu hohes Gewicht getan hätte.

In Györ, einer etwa 130.000 Einwohner zählenden Barock Stadt in der kleinen Ungarischen Tiefebene war die Radstrecke flach und es war kein einziger Berg zu finden. Da meine Renntaktik sowieso darauf ausgerichtet war, mich immer an der Spitze des Feldes aufzuhalten, machte ich mir auch keine Gedanken um sich bildende Radgruppen. Hier war es nicht so, dass ich mit einem Rückstand aus dem Wasser kommen würde und irgendwelchen Gruppen hinterher hecheln musste und diese nur selten oder mit enormem Kraftaufwand erreichte und einholen konnte.

Ein letztes Intensitätstraining verlief so gut, dass ich meine eigene Zielsetzung noch einmal veränderte. Bisher wäre ich mit einer Medaille gleich welchen Edelmetalls zufrieden gewesen. Da ich nun aber realisierte, welch gute Zeiten ich laufen konnte und in welcher hervorragenden Verfassung ich war, setzte ich bei meiner Renntaktik alles auf eine Karte und mir die Goldmedaille als Ziel. Ich wollte unbedingt wie 2004 auf Madeira im Triathlon nun auch im Duathlon Weltmeister werden und traute es mir auch zu. Es sollten mich bei diesem bevorstehenden Wettkampf Distanzen von 10 Kilometern Laufen, 40 Kilometern Radfahren und erneuten 5 Kilometern Laufen erwarten. Mein Körpergewicht war wie erwähnt mit 69kg beinahe im Idealbereich. Im Vergleich zu früheren Zeiten, wo ich 60 bis 63 Kilogramm hatte, war ich zwar beim Laufen etwas benachteiligt, hatte aber beim Radfahren, wo die Kraftkomponente erheblich höher ist, deutliche Vorteile. Ich hatte also kontinuierlich seit meinem ersten Jahr Triathlontraining ein Kilogramm an Muskelmasse pro Jahr zugelegt. Meinen Körperfettanteil konnte ich je nach Jahreszeit und Trainingsphase konstant zwischen fünf und sechs Prozent halten. Wie bereits angemerkt nahm ich das höhere Gewicht durch die Zunahme der Muskulatur in Kauf, weil ich davon beim Radfahren und Schwimmen stark profitierte, effektiv Verletzungen vorbeugen konnte und meinen Rücken stabilisieren und so erneute Probleme im Lendenwirbelbereich umgehen konnte. Obwohl es durch mein früheres Fußballspiel zu einer leichten O-Beinstellung gekommen war und mir Orthopäden stets prophezeiten, dass sich bei hoher Laufbelastung Knieprobleme einstellen würden, gelang es mir durch das gezielte Krafttraining und den Aufbau der Beinmuskulatur, diese avisierten Probleme zu vermeiden. In meiner gesamten Laufbahn musste ich keinen einzigen Trainingskilometer wegen Knieschmerzen auslassen.

Obwohl man in der Laufdisziplin davon spricht, dass eine Reduktion des Körpergewichts um ein Kilogramm circa 10 bis 15 Sekunden Zeitersparnis auf 10 Kilometer Wettkampfdistanz bringt, ließ ich das Krafttraining und die damit einhergehende Steigerung des Körperwichts nie außen vor. Natürlich hätte ich bei gleichbleibender Herzkreislauf- und  Ausdauerleistung mit den 60 bis 63 Kilogramm Körpergewicht meiner Anfangszeit als Athlet nach all den Jahren des Trainings theoretisch deutlich schneller laufen können, ich hatte jedoch festgestellt, dass ich bei mir diese Formel nicht mehr aufmachen konnte, wenn ich weniger als 69 Kilogramm wog verschlechterte sich meine Kraftausdauerleistung derart, dass ich von der Gewichtsreduktion auch beim Laufen nicht mehr profitierte.

Beim Einlaufen direkt vor dem Wettkampf ließ ich wie so oft meine Vorbereitung Revue passieren und realisierte, dass alles trotz des beruflichen Trubels optimal verlaufen war und es mir gelungen war, am Tag X genau in Bestform zu sein.  Es kam nur sehr selten vor, dass ich dieses überragende Körpergefühl hatte und mir meiner eigenen Leistungsstärke so genau bewusst war. Als ich eine Viertelstunde vor dem Start noch einmal in der Wechselzone mein Rad checkte, kam es jedoch noch einmal zu einer Schrecksekunde. Mein Hinterrad war plötzlich platt, ohne dass ich mir erklären konnte, wie es genau dazu gekommen war. Der deutsche Teambetreuer Norbert Braun konnte jedoch für ein Ersatzrad sorgen, so dass auch dieses Problem schnell gelöst war. Das Erlebnis sorgte jedoch noch einmal für einen erheblichen Adrenalinstoß, so dass ich an der Startlinie, um bei dem Vergleich mit dem Rennpferd zu bleiben, mit den Hufen scharrte und endlich losgelassen werden wollte. Wie immer seit meinem schweren Radsturz betete noch einmal kurz zu Gott, dass ich von weiteren Pannen und Unfällen verschont bliebe, dass mein Rücken halten sollte und ich das, was ich mir im Training erarbeitet hatte, auch abrufen könnte. 

Die letzten Minuten bis zum Start waren dieses Mal besonders aufregend. Um mich herum befanden sich nur nervöse Athleten, die auf der Stelle herumtänzelten, sich lockerten, an ihren Brillen herum zupften, zum hundertsten Mal ihre Startnummern und ihre Schnürsenkel kontrollierten und denen es genau wie mir zu gehen schien. Sie wollten alle losgelassen werden. Das nervöse Gehabe meiner Mitkonkurrenten war mir ehrlich gesagt  sehr lästig. Die Panne an meinem Rad hatte mich bereits unruhig genug gemacht und ich wollte mich jetzt unbedingt noch einmal sammeln. Darüber hinaus war ich mit meiner Startposition in der Reihe 3 mehr als unzufrieden. Die Startreihen werden nicht eingeteilt, jeder Athlet hat die freie Auswahl und platziert sich entsprechend seines Leistungsvermögens. Ich hatte nicht vergessen, dass ich einmal bei einem anderen Wettkampf in Reihe drei gestartet war, bei dem mir ein Mitkonkurrent im Getümmel der ersten Meter auf meinen Laufschuh getreten hatte, den ich daraufhin verlor und sehr viel Zeit einbüßte. Dies sollte mir heute keinesfalls passieren. Ich wollte alles umgehen, was meinen Wettkampf heute irgendwie gefährden konnte. Also drängelte ich mich zugegebener Maßen etwas rabiat nach vorne und platzierte mich dort genau in der Mitte.  Dann ertönte auch schon der Startschuss und es war wie eine Befreiung.

Ich spurtete mit meinen Mitkonkurrenten los, die genau wie ich voller Spannung auf den Startschuss gewartet hatten.

Wir absolvierten den ersten Kilometer in weniger als drei Minuten. In 2:52 Minuten war ich bis dahin noch nie den ersten Kilometer bei einem Duathlon gelaufen.

Ich war aber nicht alleine, trotz des hohen Tempos befanden sich ich um mich herum zwei Brasilianer, ein Mexikaner, ein Neuseeländer und ein Australier. Ich bereitete mich zwar immer nicht nur im Training auf die Wettkämpfe vor, sondern versuchte auch über Studien von Ergebnislisten möglichst viel über meine Konkurrenten zu erfahren, in welchen Disziplinen sie ihre Stärken und Schwächen hatten, aber auf diese Art kann man natürlich nicht das komplette Starterfeld erfassen. Ich kannte also nicht alle von Ihnen, konnte ihre Leistungsfähigkeit nicht einschätzen und hatte auch nicht die Geduld, sie Kilometer um Kilometer zu beobachten und einzuschätzen, was sie konnten oder auch nicht konnten. Lieber wollte ich schnell für klare Verhältnisse sorgen und so wenig Mitkonkurrenten wie möglich in meiner Nähe haben. Außerdem war es überhaupt nicht in meinem Sinne, dass das Tempo auf der Laufstrecke verschleppt und nicht so hoch wie möglich gehalten wurde. Ich war mir meiner überragenden Laufform sehr bewusst und wollte sie entsprechend nutzen. Ich wollte nicht nur den ersten Lauf mit einem guten Vorsprung beenden, sondern auch dafür sorgen, dass meine Konkurrenten durch das schnelle Tempo bereits deutlich gezeichnet auf die Radstrecke gehen würden. Also reichte mir meine jetzige Position im Feld nicht. Mein Ziel musste mit Blick auf die folgende flache Radstrecke sein, auf der ersten Laufstrecke das Tempo so hoch zu halten, dass die guten Radfahrer müde würden und ich mir im Optimalfall einen Vorsprung bis zur ersten Wechselzone erarbeiten konnte. Ich wusste das mit dem Schweizer Urs Delsberger, der bereits mehrfacher Weltmeister war, dem Deutschen René Hördemann und dem Ukrainer Jastrebov drei Radfahrer dabei waren, die mir nicht nur ebenbürtig, sondern in der Vergangenheit sogar deutlich besser gewesen waren. Also musste es mein Ziel sein, einen möglichst großen Vorsprung Ihnen gegenüber zu erzielen.

Ich forcierte das Tempo, was mir trotz der extrem hohen Laufgeschwindigkeit recht leicht fiel. Ich fühlte mich stark, leistungsfähig und war auch bereit dazu, über den Schmerzpunkt hinauszugehen. So konnte ich Kilometer um Kilometer Boden zwischen mich und das Verfolgerfeld bringen und hatte mit dem Brasilianer Jonas Rocher nur noch einen Begleiter an meiner Seite. Es war mein persönlicher Ehrgeiz, als erster in die Wechselzone zu gelangen und so forcierte ich das Tempo so lange weiter, bis ich mindestens 10 Sekunden Vorsprung vor ihm hatte und als erster in die Wechselzone laufen konnte, was ich dann auch nach knapp unter 31 Minuten tat. Das war meine absolute bisherige Bestzeit in einem Duathlon. Die Distanzen lagen in Ungarn wie bereits erwähnt bei 10 Kilometern Laufen, 40 Kilometern Radfahren und 5 Kilometern Laufen. Da ich in der Wechselzone am Radplatz noch schnell ein Energy-Gel in mein Trikot steckte, überholte der Brasilianer mich kurz und ich folgte als Zweiter mit 2 Sekunden Abstand auf die Radstrecke. Um ihn machte ich mir aber keine Gedanken, da ich wusste, dass dieser Athlet seine absolute Stärke im Laufen hatte und auf dem Rad keine Konkurrenz für mich darstellen würde. Schon nach drei Kilometern hatte ich ihn abgeschüttelt. Wie immer hatte er versucht, so nahe wie möglich an meinem Hinterrad zu bleiben, den Windschatten so gut es ging auszunutzen, dabei Kraft zu sparen und in meinem Sog mitzufahren. Ich verschleppte einige Male das Tempo, wurde langsamer, trat daraufhin extrem explosiv wieder an und machte ihn so schnell müde. Der Mehrrundenkurs durch die Innenstadt Györs hatte den Vorteil, dass ich meine Konkurrenten an vielen Stellen beim Wenden sehen und die Abstände einschätzen konnte. Beim ersten Wendepunkt realisierte ich, dass genau eintreffen würde, was ich erwartet hatte: Die drei starken Radfahrer arbeiteten sich an mich heran. Zwar hatte ich beim Laufen über eine halbe Minute Vorsprung auf sie erzielt, aber sie fuhren sehr aggressiv im Dreierverbund, um an mich heranzukommen. Ich entschied mich, das Tempo nicht weiter zu erhöhen, um nicht weiterhin der Gejagte zu sein. Lieber wollte ich warten, bis sie herankamen, um mich dann im direkten Kontakt an Ihnen festzubeißen. Im weiteren Rennverlauf war ich zunächst vorsichtig und wollte sehen, ob ich überhaupt den Kontakt mit den Spitzenfahrern halten konnte. Ich befürchtete immer noch, dass ich abreißen lassen musste und mit erheblichem Rückstand für die zweite Laufstrecke gehen würde. Da diese nur besagte 5 Kilometer lang war, konnte ich mir keinen großen Rückstand erlauben. Da an diesem Tag meine Radform genauso exzellent wie meine Laufform war, attackierte ich dann jedoch sogar auf dem Rad und verschärfte das Tempo so oft, bis auf René Hördemann kein anderer mehr folgen konnte. Mir fiel ein Stein vom Herzen, dass der Ukrainer und der Schweizer zurück blieben, denn ich wusste, dass ich Hördemann im Laufen nicht fürchten musste und beschränkte mich darauf, in unmittelbarer Distanz zu ihm zu bleiben, ohne jedoch das Tempo zu verschleppen.

Ich war mir bereits auf der Radstrecke sicher, dass ich meinen Weltmeistertitel hier erreichen konnte. Das hatte ich so noch nie im Rennen erlebt. Es waren gerade einmal 30 Kilometer der Radstrecke gefahren und schon war ich absolut siegessicher und siegesgewiss. Ich versuchte selbst, meine Freude darüber zu unterdrücken und mich weiterhin auf das Rennen zu konzentrieren.

Am Ende der 40 Radkilometer fuhr ich mit Hördemann in die Wechselzone ein, aus der ich nach einem 12 Sekunden dauernden Wechsel als erster hinaus lief. Ich zögerte gar nicht lange und schüttelte ihn auf dem ersten Kilometer direkt ab. Erneut konnte ich ein so hohes Tempo laufen, dass keiner meiner Konkurrenten hinter mir aufholen und ich mich mit einem beruhigenden Abstand von über einer Minute bereits auf dem letzten Kilometer feiern lassen konnte, was ich auch tat.

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