Ohne aktuelle Wettkämpfe bleibt nur der Blick zurück, heute zu meiner ersten Age Groupe Weltmeisterschaft über die olympische Distanz (1,5k swim/40k bike/10k run) in Mexico 2002.

Ich erinnere mich heute noch gut daran, dass das Training in den letzten 12 Wochen, das mir den letzten Schliff für die Weltmeisterschaft geben sollte, absolut planmäßig und ohne Ausfälle verlief. Da die Vorbereitung in den Herbstmonaten überwiegend ablief war der zu erwartende Temperaturunterschied enorm; mittags um 13 Uhr, wenn wir die Radstrecke hinter uns hätten und den finalen Lauf antreten würden, war mit extrem hoher Luftfeuchtigkeit und über 30 Grad Celsius zu rechnen. An ein Scheitern dachte ich damals nicht, ich war einfach top vorbereitet.

Das letzte Schwimmtraining lief perfekt, 100m auf Zeit schwamm ich in diesem Training in 61sec. – eine Zeit die mir davor noch nie gelang. Da das Schwimmen meine Schwäche war, in Cancun durch die Windschattenfreigabe und total flache Radstrecke aber erfolgsentscheidend werden würde, war ich sehr optimistisch was den Rennausgang anbelangte.

Zwei Tage später ging der Flug nach Cancun. Die Saison war mit den zwei Ironman-Erfolgen ohnehin schon sehr positiv verlaufen und ich war sicher, dass ich bei der WM ebenfalls gut abschneiden könnte. Vor Ort realisierte ich, dass es genau so war, wie befürchtet: Es würde mittags um 13 Uhr, wenn ich voraussichtlich im Wettkampf auf die Laufstrecke gehen würde, deutlich über 30 Grad Celsius sein und die Laufstrecke keinen Meter Schatten bieten würde. Ich versuchte, in den verbleibenden Tagen bis zum Rennen, genau zu dieser Zeit meine letzten Laufeinheiten zu absolvieren. Wenn ich sah, dass die anderen Athleten ihre Läufe in den frühen Morgenstunden oder spät abends nach Sonnenuntergang hinter sich brachten, dachte ich, dass es doch zielführender sei, dies zu den Wettkampfbedingungen, also bei brütender Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit, zu tun. Gerade, weil ich als Deutscher aus dem Herbst kam und schon lange keine Temperaturen über 20 Grad Celsius mehr gefühlt hatte. Diese Vorgehensweise sollte sich später für mich auszahlen. Ich hatte es bei Hitzewettkämpfen bisher immer so gehandhabt, dass ich mir die Trainingslaufeinheiten in die Mittagshitze legte, um mich an die zu erwartenden Bedingungen zu gewöhnen. Dafür wurde ich oft belächelt und für verrückt erklärt. Tatsache ist aber, dass ich nie unter der Hitze bei einem Wettkampf zu leiden hatte und ich mich an mehr als zehn Rennen erinnern kann, die ich in einer Hitzeschlacht gewonnen habe.

Vor dem Start war ich unter Anbetracht der neuen Herausforderung einer WM sehr cool und relaxt. Ich war mir sicher, in allen Disziplinen über diese olympische Distanz im Training ein hohes Niveau erreicht und angeeignet zu haben. Gerade auf das Schwimmen hatte ich, wie gesagt, meinen Fokus gelegt, da ich wusste, dass die Radstrecke sehr flach war. Ich vermutete, dass sich die schnellen Schwimmer dort zusammenrotten würden. Mit einem großen Schwimmrückstand, könnte ich aus eigner Kraft auf der Radstrecke nicht herankommen. Meine Ergebnisse des Schwimmtrainings bewiesen auch, dass ich mich in der bis dato besten Schwimmform überhaupt befand, was ich vor allem meiner Teilnahme am Schwimmtraining der Wettkampfschwimmer des Gießener Schwimmvereins zu verdanken hatte. Der Fokus in diesen Trainingseinheiten lag auf den kurzen Strecken 50 Meter bis 200 Meter und gerade dies tat mir gut, da es was völlig anderes war, als die Langintervalle zur Vorbereitung auf die 3.800 Meter Schwimmdistanz im Ironman.

Wir schwammen ohne Neoprenanzug im 23 Grad Celsius warmen Wasser. Da ich mir mittlerweile eine gute Wasserlage und einen effektiven Beinschlag erarbeitet hatte, war das kein Nachteil für mich. Der Startschuss ertönte und ich bekam bereits nach wenigen Metern einen schweren Schlag auf meine Schwimmbrille. Tränen schossen in mein Auge und ich verlor die Brille, sodass ich die 1.500 Meter im Salzwasser ohne sie hinter mich bringen musste. Ich konnte mich über den ganzen Verlauf des Schwimmens nur schwer orientieren und musste meine optimale Wasserlage ständig verlassen, um zu sehen, wo ich überhaupt hinschwamm. Meine Augen brannten durch das Salz wie Feuer und ungeahnte Aggressionen stiegen in mir auf. Ich hatte so viel in das Schwimmen investiert und alles wurde, in wenigen Sekunden, durch den Schlag eines Konkurrenten zunichtegemacht. Diese Situation war auch Abbild eines sich verändernden Sports. In meinen ersten Jahren des Wettkampfsports kam es so gut wie nie zu Rempeleien oder Schlägen im Wasser. Mit der zunehmenden Leistungsdichte und dem höheren Niveau der Wettkämpfe, an denen ich teilnahm, verschlechterte sich auch der Umgangston und die Sitten wurden rauer. Zuschauer und Betreuer, die den Vorgang beobachtet hatten, sprachen davon, dass es sich um eine willentliche Handlung gehandelt habe.

Dass also mein Konkurrent, ein Amerikaner, bewusst mit der Faust zugeschlagen habe. Das konnte ich erst nicht glauben und wurde später eines Besseren belehrt, als ich eine Videoaufzeichnung des Schwimmstarts sah.

Natürlich kam ich nach dem Malheur mit einem erheblichen Rückstand von über zwei  Minuten aus dem Wasser. Ich kochte innerlich, als ich sah, dass sich vorne die Gruppen wie erwartet bildeten. Ich versuchte auf der Radstrecke alles und fuhr so schnell ich nur konnte, um Boden gut zu machen. Dies gelang mir zwar, aber gegen die Gruppen war ich machtlos. Ich fuhr die gesamte Strecke an meinem Limit, nur um bei den Wendepunkten zu sehen, wie vergleichsweise relaxt sich diese Athleten, in den drei vor mir liegenden Radgruppen, im Windschatten des Vorfahrers bewegten. Was die Wettkampfrichter an diesem Tag an Unfähigkeit und Inaktivität an den Tag legten, war einer WM unwürdig. Es wurden nur sehr wenige Verwarnungen ausgesprochen und ich konnte nicht im Entferntesten erkennen, dass man sich wirklich bemühte, die Gruppen aufzulösen. Das hatte ich nicht erwartet, obwohl unsere Betreuer uns auf die großzügige Regelauslegung der mexikanischen Kampfrichter vorbereitet hatten – gerade auch dann, wenn sich Mexikaner in den Führungsgruppen aufhalten sollten. Dies war hier der Fall. Ich stieg auf Rang 30, weit entfernt von der Spitze, vom Rad und hatte sehr viel Kraft verloren. Das war mir aber egal. Ich glaubte weiterhin an meine Chance und verlor nicht meine Motivation. Im Gegenteil: Ich konnte exzellent Laufen, wusste um meine gute Form und wollte weiterhin das bestmögliche Ergebnis erreichen. Den Ärger um den Schwimmstart und den unglücklichen Rennverlauf wandelte ich in positive Energie – und es funktionierte!

Ich hatte einen guten Lauftag erwischt. Die Hitze machte mir nichts aus und ich konnte Meter um Meter an Boden gutmachen. Ich sollte mit großem Abstand die Tagesbestzeit laufen. Meine mittäglichen Hitze-Einheiten zahlten sich aus und sogar die Brasilianer, Mexikaner und Australier, die eher an hohe Temperaturen gewohnt waren als deutsche Sportler, sollten der Hitze mehr Tribut zollen als ich. Am Ende konnte ich mich noch bis auf Platz fünf vorkämpfen und meine erste WM, unter den gegebenen Voraussetzungen, halbwegs erfolgreich finishen. Im Ziel war ich zwar mit mir selbst zufrieden, weil ich das Beste aus mir hatte herausholen können, haderte aber in den Tagen danach noch erheblich mit dem Rennverlauf. Ich war mir sicher, dass zumindest eine der Medaillen mit meiner Form möglich gewesen wäre und schwor mir, dies nachzuholen. Ich wusste, dass das Ziel, eine WM-Medaille zu gewinnen, nun mein vorrangigstes Ziel war. Und, dass ich nicht nur eine Medaille, sondern auch bei weiterer Verbesserung die Möglichkeit hatte, den Titel zu gewinnen. Ich musste nur warten, bis es eine WM gab, bei der die Radstrecke so selektiv und bergig war, dass Windschattenfahren nur schwer möglich sein und sich meine Schwäche in der Schwimmdisziplin nicht so negativ auf das Gesamtergebnis auswirken würde. Dieses Ziel verlor ich fortan nicht mehr aus den Augen. Es verfolgte mich in beinahe jeder Trainingseinheit, hielt meine Motivation hoch und gab meinem Training fortan einen neuen, zusätzlichen Sinn.

Im Jahr 2004 war es auf Madeira dann endlich soweit.

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